Jim Nisbet, ein wahrer Meister des Noir, ist tot. (1947-2022)

»Good to do a little business amidst all the horseshit.«

Jim Nisbet wurde 75 Jahre alt. Seine Lebensgefährtin Carol Collier schrieb mir in einer E-Mail, dass Jim am 28. September dieses Jahres in seiner neuen Heimat Sausalito verstorben ist. Dass er schon zwei Chemos hinter sich hatte, wusste ich aus unserem E-Mail-Austausch, aber die Hoffnung, dass wir uns doch noch mal wiedersehen, stirbt bekanntlich zuletzt. Nun bleiben nur noch Erinnerungen.

Mit Black Lizard im Pedigree – Jim war einer der ersten zeitgenössischen Autoren, die Herausgeber und Freund Barry Gifford neben Klassikern wie Jim Thompson und Charles Willeford ins Programm stellte –, etablierte er sich auch bei Pulp Master und verkörperte wie kein anderer unser Credo. Für die FAZ war er schlicht der »Meister des intellektuellen Schundromans« und DIE WELT mutmaßte, er könne der Vater von David Foster Wallace sein. Sprachlich immer anspruchsvoll, widmete er sich in brillanter Prosa stets den Outsidern, die auf dem Bodensatz des amerikanischen Traums gedeihen. Dass seine vierzehn Romane, seine Gedichtbände und Theaterstücke auch in viele andere Sprachen übersetzt wurden, übertüncht ein wenig, dass ihn die breite Öffentlichkeit nicht unbedingt kennt, denn er war kein Bestseller-Autor. Er war einer, der Genre-Regeln gebrochen hat. Dem das Geschäft egal war, der seine Stilistik nicht anpassen wollte. (Jim: »What are dictionaries for?«) Mit ihm verschwindet eine ganz eigene Stimme des zeitgenössischen Noir Thrillers.

Jim Nisbet war sehr belesen und schätzte Literatur über alle Maßen. Ich erinnere mich, wie er von Stendals »Die Kartause von Parma« schwärmte oder aus Frank Herberts »The Dune« zitierte. Dem Culturmag empfahl er Hilary Mantel. »This trilogy is historical fiction at its finest. The text is literary, intelligent, funny, breathtaking throughout the three volumes, and absolutely guaranteed to pass the time.« Warum er Faulkner mochte, kann man vielleicht aus dieser kleinen Passage aus »Dunkler Gefährte« herauslesen:

Jim mit seinem Segler in der San Francisco Bay. (Short version: it’s way too hot up there, and, since the humans have fished out the ocean, the biomass — i.e. whales, etc — has moved on or perished. Result: a spectacular emptiness. Very moving.)

„Würde er Kalifornien vermissen? Mit Sicherheit. Er vermisste es schon jetzt. Er vermisste es schon lange. Im Laufe seines Lebens hatte sich Kalifornien derart verändert, dass es nicht wiederzuerkennen war. Dennoch — die Luft zwischen Mitternacht und Tagesanbruch, die mandarinfarbenen Sonnenuntergänge, ein Vollmond über der San Francisco Bay, das Geräusch, hervorgerufen von einem springenden Fisch in einem Delta-Kanal zur Abenddämmerung, das wispernde Rascheln eines Eukalyptushains, der unglaublich dicke Tau, der dem unglaublich dicken Nebel zugeschrieben werden musste, Tau, der sich von der abendlichen Dämmerung hinübergerettet hatte und von den Ästen der Bäume tropfte, als habe es die ganze Nacht geregnet, und hundert andere Details, die Bedeutungssplitter enthielten und so die Synekdoche von Banerjhee Rolfs Kalifornien bildeten. Seine Gedanken wanderten ungehindert zwischen ihnen hin und her.“

In den USA kam Jim eine Zeit lang bei Kult-Verleger Denis McMillan unter, der mit ihm in einem burnt-orange-farbenen Hummer zu den Buchläden tourte. In Frankreich brachte François Guerif von Payot et Rivages fast alle Titel von Jim heraus und lud ihn mehrmals nach Paris ein. Dort lernte er auch Derek Raymond kennen und schätzen. Beide hielten Kontakt und tauschten sich über wochenlang Tolstoi aus. Als Denis McMillan verlegerisch die Luft ausging und sich nach Prag absetzte und Jim wieder einmal nach Paris eingeladen war, schlug ich ein Treffen irgendwo auf der Frankfurter Buchmesse vor. Jim schrieb: »Too much money & trouble, but maybe not.«

Auf einer dieser Buchmessen klappte es schließlich, und Jim flog 2013 von Paris ein. »Tödliche Injektion« galt laut James Ellroy inzwischen als Klassiker und der US-Indie Overlook druckte eine Jim-Nisbet-Gesamtausgabe. Über ein Treffen mit Jim auf der Buchmesse Alf Mayer bei Culturmag berichtet. »A tough old fucker. I fucking admire him.«

Jim mit Dexter Brown, Jr.

Irgendwann ging François Guerif auf Rente und das Interesse an Jims neuen Werken in Frankreich ließ nach. Aus dem mehr als tausendseitigen Manuskript »You don’t pencil« hätte man drei Teile machen müssen. Sein Freund Barry Gifford, inzwischen selbst weltberühmt durch seine Luna & Sailor Reihe, sagte dazu: »The world is coming to pieces. They’re all in this book. The future is not ours, and ›You Don’t Pencil‹ will tell you why.« 2017 verließ Jim mit Carol sein geliebtes San Francisco, das sich in Stahl, Beton und Glasfronten verwandelt hatte. »After Carol and I put our house on the market, we discovered that we no longer financially qualified to rent an apartment in San Francisco.« Bei uns erschien gerade »Welt ohne Skrupel.« Jim schrieb: »France is finished for me, as is Italy.  I think I’m outliving myself. . . I did manage to get Powerball into the hands of a publisher before I left for the Maritime Provinces.  He took it on vacation with him, we’ll see if he can handle my invention of Real Estate Noir in a week or two.«

Jim Nisbet / Der Krake auf meinem Kopf

»Powerball« ist somit der letzte Roman von Jim Nisbet, ein Roman um sein Alter Ego Danny, den Zimmermann und Musiker, dem langsam dämmert, dass das Kasinoprinzip auch im Bereich der Wohnungsspekulation einen Großteil der Bevölkerung aus San Francisco verdrängt. Ich weiß, dass Jim sich über jedes seiner Bücher gefreut hat, wenn er es dann in den Händen hielt. Auch wenn es dieses Mal nicht mehr klappen wird, so ist es doch sein Vermächtnis, und wir wissen, was zu tun ist.

Als die Roman-Deals ausblieben, verschickte Jim an seine Freundesliste regelmäßig nummerierte Gedichte unter dem Titel: »Plaque Ditty«. No. 36 hat Carol Collier nach seinem Abgang als Reprise verschickt:

 

No. 36

(originally sent May 30, 2021)

 

It seems to me

Said Titus Quinctius

Opening his hands to the fire

 

That Death releases us

Into this life

Then reclaims us

 

Willy-nilly, according to the rules

Of a great game

We’ll never understand.

 

A knot popped,

Lofting a spark

Into the darkness.

 

A few of us, indeed,

Marcus Acilius replied,

As he drew a scrap of stone

 

Along the length of his blade,

Loom as if unleashed

Onto life itself,

 

While the majority might claim,

and not without reason,

That it’s life itself

 

That’s unleashed

On the wretched

Rest of us.

 

Short or tall, fat or thin

Knees unstrung by disease

Or obdurate cataclysm,

 

Shave your head

And get on with it —

Or History will shave it for you!

 

Yes, muttered Quinctius,

His breath visible in the cold,

History the beancounter,

 

The gourmet,

The unrelenting

Custodian of death.

 

Selecting a length

Of bright blade at random

Acilius shaved an inch of hair

 

Off the back of his wrist.

Puffing the short ends

Towards the fire

 

With a grunt of approval,

He stood out of his cloak

And sheathed the sword,

 

Greaves gleaming,

Even by firelight

His scars manifest.

 

“Let’s go.“

Jim Nisbet  (January 20, 1947—September 28, 2022)