Blue Skies forever, Les Edgerton (1943-2023)

Les beendete alle seine E-Mails mit einem »Blue Skies«, sozusagen sein Markenzeichen. Nun wird nichts mehr von ihm kommen, denn wie seine Ehefrau Mary über Facebook gepostet hat, erlag er am 31. August dieses Jahres einer Covid-19-Erkrankung. Ein schwerer Schlag für die Familie, nachdem kurz zuvor sein 33-jähriger Sohn Michael infolge eines Herzinfarkts aus dem Leben gerissen wurde. Mary schrieb: »I have a deep love for my brilliant, broken, eccentric husband with a boundless imagination who truly made his dreams come true.«

Immer auf der Suche nach neuen interessanten Stoffen, stieß ich unweigerlich so um 2010 auch auf Jon Bassoffs New Pulp Press. Bassoff, inzwischen selbst Autor und beim Polar Verlag, hatte gerade Les Edgertons THE RAPIST und THE BITCH publiziert. Beide nahm ich sofort ins Pulp-Master-Programm. Um ein literarisches Experiment wie DER VERGEWALTIGER hinzulegen, ein literarisches Experiment sondergleichen, dazu braucht man Cojones. Aber das Experiment glückte und Hannes Hintermeier rezensierte für die F.A.Z:  »Der Roman ist eine kalkulierte Zumutung, funkelnd und bösartig. Er beweist, dass es in der Literatur aufregender zugeht, wenn sich einer überhebt und verrennt, anstatt die immer gleiche fade Tütensuppe der Marke Psychothriller, Serienkiller oder Regionalkrimi aufzutischen.«

THE BITCH wird bei uns in Kürze als PRIMAT DES ÜBERLEBENS an den Start gehen, ein klassischer Noir, vermutlich stark geprägt durch Les‘ bewegte Biografie, und es ist jammerschade, dass er die deutsche Ausgabe nicht mehr in den Händen halten wird. Genauso die schwarze Pulp-Komödie DAS GRENZGENIALE PSEUDO-KIDNAPPING.

Les fragte zwar immer nach den offiziellen Erscheinungsterminen, nahm aber stoisch zur Kenntnis, dass es im Independant Publishing Biz zuallererst ums Überleben geht. Nichtsdestotrotz stellte er als großer Sportfan den Kontakt zum Notre Dame Recruiting Center her, als er erfuhr, dass mein Sohn American Football spiele und ein Highligt-Tape habe. Mit seinen Kursen in Sachen creative writing und dem Ratgeber HOOKED gab er unzähligen Autorinnen und Autoren Starthilfe. Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 und Les‘ Deutschland-Debüt DER VERGEWALTIGER im Regal, erzählte ich der Agentin Svetlana Pironko von Les Edgerton und sie wurde seine Agentin. Sie überredete ihn, aus einer Shortstory in seiner Story-Sammlung MONDAY’S MEALS einen Roman zu entwickeln. Les machte sich daran, und Svetlana verkaufte HARD TIMES nach Italien, und kein Geringerer als Joe R. Lansdale schrieb dazu das Nachwort.

Hier geht’s zum Podcast mit Les Edgerton.

»Les Edgerton has swiftly become my favorite crime writer. Original voice, uncompromising attitude and a pure hardboiled style leap him to the front ranks of my reading list. He will become legendary.«

Laut Les sei HARD TIMES in Italien so gut gelaufen, dass man dort mit THE BITCH im Dezember nachlegen wolle. In einem Interview zu THE BITCH stellte Les klar:

»Wenn man glaubt, dass die meisten Kriminellen so sind wie in Büchern oder im Fernsehen oder im Kino, sollte man bedenken, dass ich zwar nicht die Norm bin, aber einige Zeit im Knast verbracht habe. Und ich habe auch College-Kurse gegeben, Haare geschnitten und die Little League trainiert. Ich bin nicht die Norm … aber ich bin nicht weit davon entfernt. Die Jungs, mit denen ich in Pendleton abhing, waren ziemlich genau so wie die Jungs, mit denen ich in der örtlichen American Legion Post oder im Starbucks in der Nachbarschaft abhing. Man ist vielleicht näher dran, als man denkt […] Wenn Du wissen willst, wie Kriminelle wirklich denken, dann lies ›The Bitch‹. Und dann denk mal darüber nach. Es gibt derzeit etwa 3 Millionen Menschen im Knast. Das bedeutet, dass es wahrscheinlich mindestens drei- bis fünfmal so viele sind, die im Gefängnis gesessen haben und jetzt auf freiem Fuß sind. Höchstwahrscheinlich leben sie in Deiner Nachbarschaft. Die meisten glauben das einfach nicht, weil sie denken, dass Kriminelle so aussehen wie das Central Casting für Filme.«

Ich hatte leider nie die Gelegenheit, Les persönlich zu treffen. Einmal schlug er ein Bouchercon-Treffen vor, wusste aber wohl, dass unsere Portokasse so viel nicht hergeben würde. Trotz einiger Achtungserfolge kam nie auch nur eine Einladung aus Europa. Tja. Nun ist es zu spät. Aber Deine ausstehenden Bücher werden kommen und in Erinnerungen bleiben. Gone but not forgotten, Les.