Durcheinanderwirbeln

Niemand nimmt scheinbar harmlose Umgebungen und bricht sie auf, um ihr dunkles Herz zu enthüllen, wie Megan Abbott, und in ihrem neuen Roman (unserem Ersten) tut sie es wieder mit einer spannenden Erzählung über die Backstage-Possen einer Ballettschule, die sich mit Weiblichkeit, Angst und Macht beschäftigt.

Zugegeben: Ohne den Deutschen Verlagspreis 2020 hätte es vielleicht nie geklappt. Immerhin hatten wir »Die Antwort des 21. Jahrhundert auf Patricia Highsmith« schon länger auf der Watchlist. Nach ihrem 2012 bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Das Ende der Unschuld startet die NYT-Bestseller-Autorin und oft als Queen of Noir bezeichnete Megan Abbott hierzulande mit ihrem mittlerweile zehnten Titel bei Pulp Master einen Neuanfang. Und sie führt uns ein in die Welt des Balletts.


Euer Ernst?, werden viele fragen … Pulp Master und Ballett? Klare Antwort: Ja! Ob als Compagnie auf der Bühne oder bei Training und Probe im Ballettsaal, ob während der Ausbildung, ob klassisch oder modern – das Ballett bildet eine in sich geschlossene Gemeinschaft, die eigenen Regeln, eigenen Gesetzen folgt. Ballett in all seinen Stilrichtungen – klassisch, neoklassizistisch, modern – erzählt Geschichten von Liebe und Hass, Tod und Verzweiflung, von Verrat, bezieht Stellung auch zu den großen Menschheitsfragen. AUS DER BALANCE bedient sich dieser in unserem Bewusstsein weiblich konnotierten Welt des klassischen Balletts. Nicht allein um die Schattenseiten der »zweiten Hälfte des Himmels« in Licht zu tauchen, sondern auch um der kraftvollen Erkundung von Schnittstellen wegen, die uns an die Vergangenheit binden und uns nicht selten daran hindern, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Mit ihrer Hinwendung zum zeitgenössischen psychologischen Thriller vollführte die Autorin einen großen Sprung, stand ihr Stil doch stark unter dem Einfluss der Krimis und des Film Noir der 1940er- bis 1960er-Jahre. Hier begibt sich Abbott in die Sphären des Balletts und des Cheerleadings. Wir konzentrieren uns auf drei ihrer Schlüsselromane, mit denen man diesen Richtungswechseln in deutschen Erstausgaben zumindest nachvollziehen kann.

Während sie immer wieder auf die Traditionen des Genres zurückgreift und sie gleichzeitig hinterfragt, überschreitet Abbotts Arbeit die Grenzen des Genres und offenbart die Autorin als eine neue, wichtige Stimme der zeitgenössischen Kriminalliteratur, werden ihre Romane schließlich oft als Krimis bezeichnet. Obgleich sie mit Spannungselementen arbeitet und von Gothic- und Noir-Elemente Gebrauch macht, scheint es ihr dennoch weniger um die Konstruktion doppelbödiger Handlungsprobleme zu gehen als vielmehr darum, die dunkle Seite der Weiblichkeit zu erkunden.