Rezensionen – Die schwarze Messe

Pulp und die Moderne. Krimi und die Theorie vom Werden der Kunst im Auge des Betrachters. Das passt nicht? Passt! In Charles Willefords „Ketzerei in Orange“. … Das hätte nun ein furchtbar langweiliges Traktat werden können, doch Willeford kann schreiben. Sehr diszipliniert führt er seinen James Figueras auf dem schmalen Grat zwischen Alltag und Abgrund, Normalität und Irrwitz. Alles was in diesem Krimi passiert, ist so gewöhnlich wie außergewöhnlich. Wirklich normal hingegen ist kaum etwas, abgesehen von Jacques Debierue selbst, der sein Scheitern erträgt und in den Banalitäten des Lebens überlebt, und Figueras’ Freundin, einer biederen Englischlehrerin aus Duluth / Minnesota (pikanterweise auch der Geburtsort Bob Dylans), die naiv richtige Fragen stellt und intellektuell falsche Antworten bekommt. Figueras dagegen existiert ebenso wenig wie die Kunst, die er kritisiert und damit erst zur Kunst macht. Am Ende zahlt er den Preis. Einen Mord, wie gesagt, gibt es auch. Aber Achtung, liebe Theoretiker des konventionellen Krimis: Der Mord ist hier nicht Ausgangspunkt, sondern Resultat, kein Ermittler löst den Fall, sondern die Geschichte selbst stellt die Gerechtigkeit wieder her. Das ist groß, das ist Willeford.
dpr /Watching the detectives

Eine wahre Rarität, die in der inzwischen ruhmvollen „Pulp Master“-Reihe des Maas Verlages erschienen ist, sind die beiden Romane „Ketzerei in Orange“ und Die schwarze Messe des Amerikaners Charles Willeford. Willeford wird mitunter als der „unbekannteste große amerikanische Autor des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Sein Werk blieb lange Zeit von der Kritik unentdeckt, da es in Billig-Paperbacks aufgelegt wurde und so als literarische Perlen in der breiten Masse amerikanischer Schundromane verschwand. Dabei war er unter den Vielschreibern eigentlich Fehl am Platze, da er mit ausdauernder Akribie an seinen Texten feilte: es war ihm Ernst mit der Literatur und er orientierte sich durchaus an literarischen Größen wie Joyce. (In „Der Hohepriester“ lässt er seinen Protagonisten eine verständliche Version des „Ulysses“ schreiben.) Willefords Pulp Fiction bedient sich dem Prinzip, über einen Antihelden – der in seinen Romanen fast durchweg als Ich-Erzähler auftritt – den Blick des Lesers auf die Gesellschaft in eine andere Perspektive zu rücken. Hier werden Schattenbereiche der menschlichen Existenz und der damit verbundenen Existenzangst betreten; es geht vordergründig nicht um Verbrechen, Mord und Totschlag, sondern um das pure Überleben in sozialen Grauzonen. Das erstaunliche und zugleich verstörende für den Leser dabei: man findet sich unmittelbar mit existenziellen Problemen des Antihelden konfrontiert und sieht ebenfalls nur die Auswege, die der Autor ihm vorlegt. Die Verbrechen in Willefords Romanen sind Ausdruck von Verzweiflung und Sinnlosigkeit…Trotz des vergleichsweise hohen Preises ist Willefords „Ketzerei in Orange“ eine Empfehlung wert. Ein erster Volltreffer im Krimi-Jahr 2006. Kompliment auch an den Maas-Verlag, der sich an die Veröffentlichung getraut hat. Die Krimi-Couch wartet gespannt, ob noch weitere Willefords in Zukunft erscheinen werden.
-Thomas Kürten

… Springer steht gegen Ende des Romans in New York, die Taschen voller gestohlenem Geld, schaut in den klaren blauen Himmel und flüstert: »Lieber Gott, ich danke dir, für nichts.« Nicht nur in solchen Momenten erinnern Willefords erzählerische Experimentalanordnungen an Kafka, an dem sich Generationen von Literaturwissenschaftlern abgearbeitet haben. Dabei ist es gerade der Schmutz-(Pulp)-Autor Willeford, der so etwas wie eine reine, furchteinflößend heitere Prosa geschrieben hat, die sich jeder verharmlosenden wie allzu US-kritischen Lesart entzieht und vielleicht gerade deswegen den Leser verstört und doch ungemein gestärkt zurückläßt.
-Junge Welt

… Scharfsinnig porträtierte Charles Willeford in „Die schwarze Messe“ einen nihilistischen Helden, der erst mit dem Wallstreet-Kapitalismus und dem Jahrzehnt der Gier in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in das allgemeine Bewusstsein rückte. Damals schrieben unter anderem Tom Wolfe (Fegefeuer der Eitelkeiten) und Brett Easton Ellis (American Psycho) dicke und erfolgreiche Bücher über bedingungslose, nihilistische Kapitalisten in der liberaldemokratischen Gesellschaft. Aber während sie für ihre Analyse dicke Bücher schrieben, bleibt Willeford in der üblichen Länge eines Pulpromans und schlachtet fast schon nebenbei alle heiligen Kühe der amerikanischen Gesellschaft. Deshalb ist Willefords prophetische Gesellschaftsanalyse „Die schwarze Messe“ heute so aktuell wie vor fast einem halben Jahrhundert. Seine Noir-Groteske „Die schwarze Messe“ ist ein moderner Klassiker, dessen Entdeckung in Deutschland lange überfällig war.
– Alex Bussmer

Abstieg zum Psychopathen: Sam Springer fühlt sich in seinem Job als Buchhalter unterfordert. Vage strebt er nach Höherem, weiß aber nur, daß er nicht dafür arbeiten will. Lieber läßt er seine Frau sitzen und wird kriminell. Er ist der Anti-Held in Charles Willefords neu aufgelegtem Roman-Noir-Klassiker „Die Schwarze Messe“ von 1958. „In der Army habe ich viele solche Typen getroffen“, hat Willeford (1919-1998), Panzerkommandant im Zweiten Weltkrieg, einmal gesagt. Durch einen bizarren Betrug avanciert seine Figur Sam Springer zum Pfarrer einer schwarzen Gemeinde in Florida. Doch die Hoffnung, sich den Rest seiner Tage von Schwarzen aushalten zu lassen, zerschlägt sich, als der von Martin Luther King organisierte Busboykott auf Jacksonville übergreift. Scheinbar mit den besten Absichten unterstützt Sam Springer die Bürgerrechtler. Heimlich aber plant er, seine Freunde zu verraten und aus dem Busboykott Kapital zu schlagen. Der schleichende Übergang vom Normalbürger zum mordbereiten Psychopathen ist die Konstante im Werk von Charles Willeford. Er ist ein Chronist der nachindustriellen Gesellschaft, in der das entwurzelte Individuum mehr und mehr bereit ist, für einen Fetzen vom amerikanischen Traum über Leichen zu gehen.
– Gunter Blank

New York, Stadtteil Harlem, wo vor allem Schwarze leben; in den fünfziger Jahren. Selbst für Harlem ist das Paar, das in dem billigen Hotel eingecheckt hat, ziemlich seltsam: Reverend Deuteronomius Springer, weiß und Mitte 30, teilt sich sein Zimmer mit Merita Jensen, einer prallerotischen Schwarzen von Anfang 20. Dem pastoralen Outfit von Springer zum Trotz ist völlig klar, was die beiden im Zimmer vorhaben; kein Wunder also, dass sie erst im dritten Hotel überhaupt ein Zimmer bekommen haben. Noch viel spannender als das, was gleich nach dem Einchecken geschehen wird, ist aber das, was sich bereits ereignet hat: Die Geschichte, die dazu führte, dass das ungleiche Paar überhaupt ein solches wurde. Und diese Geschichte erzählt die großartige Kriminalgroteske „Die schwarze Messe“ von Charles Willeford: Sam Springer ist eigentlich Buchhalter. Schon lange hatte er die Nase voll von seinem öden Dasein, da befällt ihn eines Tages plötzlich eine Idee für einen Roman. Springer zögert nicht lange, schreibt die Geschichte, findet einen Verlag, bekommt einen Vorschuss, wird Schriftsteller. Ein traumhaftes Leben; allein: ein Nachfolgeroman ist nicht in Sicht; ums Verrecken fällt dem Neuliteraten nichts weiteres ein, mit rasanten Schritten nähert er sich der Pleite. Da zeigt sich ein letzter Strohhalm: In der Zeitung liest Springer von einem Kloster der Kirche der Herde Gottes, das geschlossen werden soll. Eine Geschichte, denkt er, und macht sich auf dem Weg. Statt den Stoff für einen Roman oder wenigstens eine Reportage zu finden, wird Springer vom Abt des Ordens aber – für 20 Dollar – zum Geistlichen gekürt. So kommt der ehemalige Buchhalter und Buchautor zum Beinamen Deuteronomius und zu einigen hundert Schäfchen. Der weiße Springer wird nämlich der Pfarrer einer schwarzen Gemeinde in Jax, Florida; und was er da erlebt und vollbringt, das ist die eigentliche Story von „Die schwarze Messe“: Er legt Gottesdienste hin, dass den Gläubigen Hören und Sehen vergeht; er wird ohne jegliche Ahnung von Theologie zum Beichtvater der Honoratioren; er zettelt einen Aufstand gegen die Rassentrennung an – und er lernt die schöne Zahnarztgattin Merita kennen … Schwarz ist „Die schwarze Messe“ nicht etwa, weil es um Teufelsanbeterei oder ähnliches ginge, sondern weil Charles Willeford seinen (Anti-)Helden ohne einen Hauch von Moral oder Ideologie kreiert hat: Reverend Deuteronomius Springer verkörpert den Nihilismus in seiner reinsten Form, er ist ausschließlich an sich und seinem Vorteil interessiert; das Schicksal der anderen ist ihm völlig Schnurz. Trotzdem – oder gerade deshalb – wird er zum Dreh- und Angelpunkt diverser Prozesse und Entwicklungen, die sich gewaschen haben, eben bis hin zum fiktiven Aufstand gegen die Rassendiskriminierung in Jax, Florida… Aus heutiger Sicht – für die 50er Jahre – eine geradezu prophetische Gesellschaftsanalyse, die der Weiße Charles Willeford da leistet; lakonisch und unbestechlich in Form gegossen, gewürzt mit jeder Menge schwarzem Humor. „Die schwarze Messe“ ist nicht weniger als Weltliteratur des 20. Jahrhunderts, in Deutschland angekommen mit fünf Jahrzehnten Verspätung. Und, nebenbei gesagt, der Beweis, dass Kriminalromane auch ohne Mord klasse funktionieren können.
– Ullrich Noller